Der Himalaya als Problemzone

Auf dieser Seite finden sie eine Artikel von Dr. Wolf Donner aus dem Jahre 2006, der sich umfassend mit den Problemen des Lebens im höchsten Gebirge der Welt auseinandersetzt. Er ist immer noch sehr aktuell.

Der Himalaya als Problemzone von Dr. Wolf Donner, Köln

Im Jahre 1998 erklärte die Generalversammlung der Vereinten Nationen das Jahr 2002 zum Internationalen Jahr der Berge. Zu dieser Entscheidung kam es in Beantwortung eines Vorschlags durch die Regierung von Kirgistan, der sich mit den Problemen der Gebirge befasste. Seitdem nahmen Menschen in aller Welt an Veranstaltungen teil, um die Berge zu feiern und Mittel und Wege zu diskutieren, um ihren Erhalt und ihre nachhaltige Entwicklung zu fördern. Es ging auch darum, alle Ideen und Empfehlungen aus voraufgegangenen Veranstaltungen aus aller Welt zusammenzuführen und sie zu Vorschlägen für konkrete Aktionen zu verarbeiten.

Unter dem Schlagwort „Wir sind alle Bergvölker“ ging man dabei von folgender Vorstellung aus. Ob wir am Meeresspiegel oder auf den höchsten Höhen leben, wir sind alle Gebirgsmenschen. Wir hängen von den Bergen ab und werden durch sie viel stärker beeinflusst, als wir uns vorstellen können. Berge liefern das meiste Süßwasser der Welt, sie beherbergen mehr Artenvielfalt (Biodiversität) als jede andere Landschaft, und sie sind die Heimat von wenigstens einem von zehn Menschen. Doch Kriege, Armut, Hunger, Klimaveränderung und Umweltzerstörung bedrohen dieses Netzwerk des Lebens, das die Berge unterstützen. Das Internationale Jahr der Berge sollte eine Möglichkeit bieten, Schritte zu unternehmen, um das Ökosystem der Berge zu schützen, den Frieden und die Stabilität in Bergregionen zu fördern und den Bergvölkern zu helfen, ihre Ziele und Wünsche zu verwirklichen. Indem wir die Berge dieser Welt bewahren, tragen wir auf lange Sicht bei, Sicherheit und Überleben von allen und allem zu sichern, was in diesen Kreislauf eingebettet ist, uns selbst eingeschlossen.

Die Gebirge der Erde bedecken etwa ein Drittel ihrer Oberfläche und sind ständiger Lebensraum für ein Zehntel der Menschheit. Jeder zweite Weltbürger ist unmittelbar von den Veränderungen in den Gebirgen betroffen. Sie beeinflussen nachhaltig das Klima und das Wetter in weiten Teilen unseres Planeten, während das Wetter seinerseits auf die Gebirge einwirkt. Sie versorgen uns mit lebenswichtigen Ressourcen wie Wasser aus den Gletschern, Mineralien aus dem Boden und Holz von den Hängen und tragen damit zum Lebensunterhalt eines großen Teils der Weltbevölkerung bei.

Die politische Bedeutung von Gebirgen zeigt sich durch die ganze Menschheitsgeschichte. Mit ihren relativ schmalen und leicht zu verteidigenden Pässen sind viele Bergketten natürliche Grenzen. Man denke z.B. an den berühmten Khaiber-Pass (1072 m) zwischen Pakistan und Afghanistan.

Wenn das Thema dieses Beitrags auch der Himalaya ist, so sei nicht vergessen, dass jeder Kontinent seine Gebirgszonen hat, die oft auch beträchtliche Höhen erreichen. - Das längste Gebirge unserer Erde sind die Kordilleren, die den amerikanischen Doppelkontinent zwischen der Beringstraße und Feuerland über 15.000 km durchziehen. In ihrem südlichen Teil, den Anden, erreichen sie im Aconcagua mit 6.959 m ihren höchsten Punkt.

In Afrika, das von mehreren geologischen Gräben durchzogen wird, werfen sich vulkanische Erhebungen zu den höchsten Höhen auf, wie im Kilimandscharo mit 5.895 m.

In Eurasien schließlich haben wir es mit der längsten Gebirgskette der Erde zu tun, die sich über ca. 14.000 km vom Atlas in Nordafrika über die Alpen und den Himalaya bis Indonesien hinzieht, eine Kette übrigens, die man ohne weiteres entlang der ostasiatischen Küste bis Kamtschatka verfolgen kann, wo sie nur durch die Beringstraße von den amerikanischen Kordilleren getrennt sind. Der Gipfel dieser langen Gebirgszone liegt im Mt. Everest (Sagarmatha), der mit 8.850 m den Himalaya überragt. und damit sind wir endlich beim Thema angekommen.

Wir wenden uns damit dem höchsten, wenn auch nicht dem längsten oder ältesten Gebirge unserer Erde zu. Der Himalaya, der sich zwischen der Ganges-Ebene im Süden und dem tibetischen Plateau im Norden hinzieht, bildet die Nordgrenze des indischen Subkontinents, und ist mit seinen 2.500 km Teil des erwähnten großen Gebirgsgürtels, der sich von Nordafrika über die pazifische Küste Südost-Asiens um die halbe Erde erstreckt.

Ehe wir uns mit einigen regionalen Besonderheiten befassen, stellt sich natürlich die Frage nach der Entstehung dieses Gebirges und nach den für Gebirge typischen Charakteristika. Heute ist allgemein bekannt, dass die Kontinente, so wie sie sich heute darstellen, das Ergebnis von Kontinentalverschiebungen sind, die noch immer vor sich gehen. Vor 180 Millionen Jahren gab es zwei riesige Urkontinente, Laurasia im Norden und Gondwanaland im Süden, die sich bis heute in Teilen beträchtlich verschoben haben.

Vor etwa 140 Millionen Jahren teilte sich Gondwanaland auf, und während Antarktika zurückblieb, drifteten die Bruchstücke in alle Himmelsrichtungen davon. Uns interessiert hier die sog. „indische Platte“, die vor 40-60 Millionen Jahren den alten eurasischen Urkontinent erreichte, das mittelmeerische Tethysmeer anhob und sich darunter schob. Dieser Prozess führte zur Aufwölbung des Himalaya und erklärt, warum man in 4.000 m Höhe Versteinerungen von Meeresgetier findet. Dieser Vorgang ist auch heute noch nicht beendet. Indien bewegt sich weiter nach Norden, und der Himalaya hebt sich, ein Umstand, dem eine kontinuierliche Abtragung (Erosion) entgegenwirkt. Zudem ist er seismisch aktiv, d.h. erdbebengefährdet.

So erstreckt sich denn heute der Himalaya, wie man vom Satelliten aus sehen kann, zwischen der Ganges-Ebene im Süden und dem tibetischen Plateau im Norden, weist über 110 Gipfel mit mehr als 7.300 m Höhe aus und erreicht, wie man weiß, im Mt. Everest 8.850 m über Meer und damit den höchsten Punkt der Erde. Abb.1 (Himalaya Satellitenbild.JPG)

Welches sind nun die Charakteristika, die Gebirge von Hügelländern und Ebenen unterscheiden? Je nach ihrer Lage in den Tropen oder im gemäßigten Klima finden wir einen vertikalen Formenwandel auf kurzer Horizontaldistanz, d.h. wir haben auf den verschiedenen Höhenstufen unterschiedliche Klimate, ein unterschiedliches Verhalten von Pflanzen und Tieren, mit wachsender Höhe in der Regel eine geringe natürliche Produktivität und damit eine begrenzte Nutzungsmöglichkeit für Wildweiden und natürlich erst recht für Ackerbau. In den großen Höhen der Gebirge, selbst in der subtropischen Zone lähmt Schneefall für viele Monate jede menschliche Aktivität. Dabei bilden Schnee und Eis andererseits Wasserreserven für den Rest des Jahres.

Wie stellt sich uns heute der Himalaya dar?

Wir sehen hochaufragende Berge mit Schneegipfeln und Gletschern von oft beachtlicher Größe, steile Hänge, Täler und  erstaunlich tiefe Schluchten, kurz: eine weite, durch Erosion tief eingeschnittene Topographie und eine komplexe geologische Struktur. Am Südhang entspringen auch die meisten der Flüsse, die am Ende in den indischen Ozean münden.

Aber wir haben auch Zonen, in denen Menschen leben und seit Urzeiten irgendwie ihr Auskommen haben. Ihre Siedlungs- und Wirtschaftsweise war über lange Zeit den jeweiligen Verhältnissen angepasst und dementsprechend vielfältig und unterschiedlich.

Denn bei der Gesamtgliederung des Himalaya-Massivs spricht man von den Vorbergen, dem Unteren und dem Hohen Himalaya, und nördlich davon vom Trans-Himalaya in Tibet selbst.

Durch die Höhengliederung und die Ausrichtung der Gebirge erhalten wir Zonen unterschiedlichen Niederschlags mit sehr ausgeprägten Monsunregen, die Segen und Fluch zugleich sind, wie wir sehen werden, und wir haben natürlich dementsprechend eine zonal sehr ausgeprägte Pflanzen- und Tierwelt und mithin unterschiedliche menschliche Siedlungsformen und Arten der wirtschaftlichen Nutzung. - Dabei ist bemerkenswert, dass der Himalaya nicht nur durch seine Höhe von fast Meereshöhe bis in alpin-arktische Regionen eine Fülle von Pflanzen und Tieren beherbergt, sondern durch seine „Sperrfunktion“ auch Berührungspunkt fremder Arten ist. So treffen sich hier floristische Elemente aus dem chinesisch-japanischen sowie aus dem mediterranen Raum; während faunistische Elemente aus dem gangetischen Süden auf solche aus dem paläarktischen Norden treffen.

Ich möchte mich bei der Betrachtung des Himalaya, seiner Probleme und des Lebens seiner Menschen schwergewichtlich vor allem auf zwei Länder beschränken – Nepal und Tibet. Dabei bietet Nepal wahrscheinlich den vielfältigsten Raum, weil es die Ganges-Ebene, die verschiedenen Stufen des Gebirges und die nördlich davon liegende trockene Zone umfasst, die geographisch eigentlich zu Tibet gehört. Und Tibet liegt bei unserer Betrachtung als „Dach der Welt“ gänzlich auf dem alten „Lhasa-Block“ mit dem Transhimalaya.

Am Fuß des Himalaya erstreckt sich über die ganze Länge die Ganges-Ebene, streckenweise als Terai bezeichnet. Hier haben wir die subhimalayische Landschaft zwischen den großen Flüssen, die hier den Himalaya verlassen und unvorstellbare Mengen Geschiebe mit sich führen. In Nepal zieht sich hier der Teeanbau allmählich die Hänge empor, wir haben Industrie und zwischenstaatlichen Handel. Der ursprüngliche Trockendschungel ist weitgehend gerodet. und hier erzeugte Nepal früher seine Überschussproduktion an Reis,
Zuckerrohr usw. und die Märkte zeigen die Fruchtbarkeit der Böden und die Vielfalt der Produktion.

Aber hier im Terai haben wir es gleich mit einigen Problemen zu tun: nicht nur mit dem schon erwähnten enormen Geschiebetransport der Flüsse, sondern auch mit den Fluten während der Zeiten des Monsunregens, wo Kunstbauten fortgerissen, Häuser unterspült, Felder mit sterilem Schlamm überdeckt werden. Und wenn der nächste Monsunregen fällt, werden die Menschen erneut vor die Frage gestellt, wie sie sich retten können, denn wieder stehen weite Teile des Terai unter Wasser, Jahr für Jahr, Sommer für Sommer. Hier wird deutlich, was ich eingangs sagte: Wir sind alle Bergmenschen...(Abb.2 : Terai unter Wasser 3.JPG)

Über die Siwaliks oder Churia-Hügel, eine einst bewaldete Zone mit Geröllböden und Malaria in der „Fieberhölle Nepal“; erreichen wir den „Unteren Himalaya“ mit Steilhängen und tiefen Tälern, deren Berge auf bis zu 3.000, ja 4.000 m hinaufreichen. Hier ist das wahre Siedlungsgebiet der nepalischen Bergbauern, das sie seit Generationen nutzen und dabei die Landschaft zersiedeln. Und hier springen einem die Probleme des Himalaya voll ins Gesicht: Entwaldung und nachfolgende Bodenerosion. Man erkennt den Bevölkerungsdruck auf den Boden, den Versuch, dem Boden die tägliche Nahrung abzuringen, und die Folgen, die sich bis hinunter ins Terai auswirken

Hier, eingebettet in das Bergland, liegt auch das fruchtbare Kathmandu-Tal, der Boden eines alten Sees, heute nicht nur das politische, kulturelle und wirtschaftliche Zentrum des Landes, sondern auch ein hochproduktives Agrarland, wo jeder Quadratmeter Boden, wofern nicht Häuser darauf stehen, mit Reis und später mit Gemüse bepflanzt wird. Bis zu den Hängen hinauf finden wir die Böden genutzt vor. Und wenn im Herbst die Felder abgeerntet sind und sich der Regen verzogen hat, dann schaut der hohe Himalaya über das Tal, über eine intensiv genutzte Fläche, die heute allerdings auch vor etlichen Problemen steht. Doch wenden wir uns zunächst dem Bergland, dem eigentlichen Lebensraum der Menschen im Himalaya zu.

Das Mittelgebirge, das die Nepali schlicht „Hills“ nennen, zeigt in einigen Zonen noch eine intakte Landschaft: mit Wäldern und nur gelegentlichen Rodungen mit Ackerbau.

Der zunehmende Bevölkerungsdruck und damit der steigende Bedarf an Ackerboden und Holz, hat in den meisten Regionen Nepals diese schöne Naturlandschaft zerstört Es ist ein Prozess der Bodendegradierung, der mit einer Zerstörung des Schutzwaldes beginnt und über das Entstehen von Erosionsrinnen zur Abtragung ganzer Hügel führen kann. Und wo der Prozess einmal eingesetzt hat, kommt es zu ganzen Bergstürzen, die Straßen zuschütten und Ortschaften bedrohen.

Es geht aber nicht nur um die Abtragung wertvoller Böden; diese ihrer Vegetation beraubten Hänge werden „versiegelt“, d.h. sie nehmen kein Wasser mehr auf, das sie bisher in den Untergrund und zu den Quellen abgeleitet haben. D.h. das Regenwasser stürzt zu Tale, reißt die Ufer mit und führt letzten Endes zu den Überschwemmungen im Terai.

Nun haben viele Bergvölker dieser Erde – beileibe nicht alle! – Methoden erdacht, um diesen Prozess aufzuhalten oder gar zu vermeiden. Aber der Terrassenbau, von dem ich hier spreche, ist keineswegs ein Allheilmittel. Nur mit größter Sorgfalt und ständiger Arbeit funktioniert es, aber eines Tages bricht dann doch der Hang ein und vielleicht Jahrhunderte alte Mühen waren umsonst.

Sie können im himalayischen Mittelgebirge diesen Prozess in allen seinen Phasen beobachten, erleben, wie Wege und Straßen, Gehöfte und ganze Dörfer, und natürlich das Ackerland den „Bach hinuntergehen“. Und es gibt dann Katastrophen wie die, wo das Ergebnis jahrelangen Straßenbaus vernichtet wird und nicht selten ganze Busladungen in den Tod stürzen.

Im Hochgebirge, dem wir uns jetzt zuwenden, ist das Leben karg, die Kulturfläche gering, aber dennoch gedeihen Gerste bis auf 3.800, Buchweizen bis auf 3.400 und Weizen bis auf 3.200 m Höhe, während Reis schon bei unter 2.000 und Mais schon bei 2.400 zurückgeblieben sind. Dafür werden Kartoffeln in Nepal bis auf über 4.000 m zur Basisnahrung,

Entscheidend sind hier aber die Gletscher, von denen Nepal allein 3.252 besitzt, und alle zeichnen sich heute dadurch aus, dass sie „rückschreitend“ sind, d.h. schrumpfen, nicht selten bis über 10 m im Jahr! Zunehmende Temperaturen und außergewöhnliche Sommerregen führen zu einer bisher unbekannten Schnee- und Eisschmelze, und während sich die Gletscherzunge zurückzieht, sammelt sich immer mehr Wasser hinter zerbrechlichen Moränen in Gletscherseen. Und die Zahl solcher Gletscherseen liegt in Nepal heute bei 2.323.

Damit wenden wir uns dem zweiten Gletscherproblem zu, den Gletscherseeausbrüchen (Glacial Lake Outburst Flood [GLOF]). Was hat es damit auf sich? Gletscher entlassen Wasser und dieses sammelt sich als See hinter der von ihm selbst aufgebauten Geröllmoräne. (Abb. 3: Gletscher und Gletschersee. JPG) Wird der Wasserdruck im See zu groß, kann diese brechen und dann einen mächtigen Strom von Wasser und Geröll zu Tale schicken. Dafür gab es in Nepal allein zwischen 1977 und 1988 fünf außergewöhnlich schwere Beispiele. Die Kartenskizze vermittelt einen Eindruck, (Abb. 4 : GLOF Dig Tso TIF) den der nachfolgende Auszug aus einem Fachbericht ergänzt:: „Im August 1985 brach die 50 m hohe Dig-Tso-Gletschersee-Moräne nahe Thame im Khumbu. Der See von 6-10 Millionen m³ Inhalt leerte sich innerhalb von 4-6 Stunden, und eine 10-15 m hohe Flut brauste 90 km weit den Dudh Kosi hinunter, tötete 12 Menschen, zerstörte 14 Brücken, Uferböschungen und Wege sowie das 1,5 Mio $ teure Wasserkraftwerk von Namche Bazar“. – So viel zu diesem Thema, aber in Nepal weiß man, dass es wenigstens 20 solcher Gletscherseen gibt, deren Moränen jeden Tag brechen können.

Wir nähern uns nun dem Nordhang des Himalaya, wo es an Monsunregen fehlt. - In der nordhimalayischen Trockenzone Nepals, etwa im oberen Distrikt Mustang, beschränkt sich der Ackerbau ganz auf Oasenkultur auf der Grundlage einiger Flüsse, die hier Bewässerung ermöglichen, ein Bild, das sich wiederholt, wenn wir noch weiter nördlich nach Tibet ins Tal des Tsangpo (Brahmaputra) gehen, das sich zwischen Himalaya und Trans-Himalaya hinzieht, bis wir dann nördlich des Trans-Himalaya ins Gebiet der Viehzüchter kommen, wo die Menschen mit ihren Tieren und ihren schwarzen Zelten nomadisieren —auch das ist noch Himalaya.

Ich möchte mich jetzt drei wirtschaftsgeographischen Komplexen zuwenden, die den Himalaya (als Gebirgsraum) auszeichnen: den Böden, der Hydrogeographie und dem Verkehr.

Die Böden des Himalaya haben höchst unterschiedliche Qualitäten, sind höchst unterschiedlich bewässert und bestrahlt. Ihnen allen aber ist gemeinsam, dass sie steil und hochgradig der Abtragung ausgesetzt sind. Diese hatte von Anbeginn der Gebirgsbildung immer natürliche Gründe; je stärker aber ihre Nutzung durch den Menschen erfolgte, um so mehr finden sich auch anthropogene Gründe. Dagegen helfen letztlich auch Terrassen nichts.

Im Trockengebiet nördlich der Himalaya-Hauptkette, wo die einheimische Vegetation ohnehin spärlich ist, modelliert Bodenabtragung die ganze Landschaft wie im nördlichen Mustang, oder weiter nördlich im historischen Königreich Guge bis 1630 auf tibetischem Boden, das sich nur aus schmalen Oasen ernähren konnte, die es auch heute noch gibt. Ansosten ist West- und Zentraltibet außerhalb der wenigen Städte fast menschenleer; die Böden sind Weideböden, die je nach Qualität und Regenfall mehr oder weniger produktiv sind.

Gehen wir mit ein paar Worten auf die Hydrogeographie des Himalaya ein, so ist es zweckmäßig, „oben“ zu beginnen, da ja das Wasser bekanntlich von oben nach unten fließt, und zwar beginnen wir am Kailash, dem Heiligen Berg am westlichen Ende des Trans-Himalaya, denn in seinem Umfeld entspringen vier der wichtigsten Flüsse Südasiens: Im Norden der Indus, im Osten der Brahmaputra, im Westen der Sutlej, der zum Indus fließt, und im Süden der Karnali, der durch Nepal dem Ganges zufließt.

Alle diese später mächtigen Flüsse sind hier oben noch bescheiden, aber schon ein paar hundert Kilometer weiter muß man sie durchfahren oder auf eine Fähre warten. Nur wenige bahnen sich einen Weg durch den Himalaya, und viele der nepalischen Flüsse entspringen südlich der Hauptkette des Gebirges wie etwa der Kaligandaki oder der Karnali, um sich dann im Terai auszubreiten oder gewaltige Kiesbetten abzulagern. Alle Himalayaflüsse sind gewaltig, aber kaum zu zähmen. Diese These möchte ich hier einmal vertreten und mich klar gegen alle Pläne von Riesenstaudämmen aussprechen.

Bodengestalt und unzähmbares Wasser machen einen Landverkehr schwierig. In der Ebene, also ,,vor“ oder ,,hinter“ dem Himalaya, gleichen sich die Bilder, sei es 100 m über Meer im nepalischen Terai vor dem Bau der Ost-West-Fernstraße, sei es auf 4.000 m Höhe im Tal des Tsangpo. – man geht mit dem Wagen durchs Wasser und wartet auf Straßen- und Brückenbau.

Wie aber sieht es mit den Bergstraßen aus, wenn man die These vertritt, dass die Entwicklung (nur) der Straße folgt? Auf diesem Gebiet zeigt das Gebirge seine Macht, und gewaltige Bauvorhaben des Menschen werden von der Natur überall zu Dauerbaustellen und unabsehbaren Kostenfaktoren gemacht. All das kann man erleben, wenn man mit dem Wagen auf dem spärlichen Straßennetz unterwegs ist, das über entwaldete, brüchige, erosionsbedrohte Hänge führt, wo ganze Hänge einfach die Straße verschütten, ja wo gute Straßentrassen den Hang geradezu herausfordern, dem Spiel ein Ende zu machen. (Abb. 5: Straßenbau unter Bergrutschbedingungen. JPG)

Ich möchte diese sicher nicht vollständige Betrachtung des Himalaya aber nicht abschließen, ohne auf das möglicherweise schwerste Problem hinzuweisen, vor dem die Landschaft steht. Es ist der Umstand, dass der Himalaya und damit Nepal auf einer seismischen Unruhezone liegt. Während der letzten 100 Jahre wurde das Himalayakönigreich durch fünf schwere Erdbeben erschüttert, von denen das im Jahr 1934 mit einer Stärke von 8,4 Richter weite Teile Kathmandus dem Erdboden gleich machte und 11.000 Menschen das Leben kostete. Wir müssen damit rechnen, dass etwas Ähnliches in absehbarer Zeit wieder passiert. Man denke an Kaschmir 2005 – und Kaschmir ist Teil des Himalaya. (Abb. 6: Erdbeben im Himalaya. JPG)

Ich möchte zum Schluss eine neue Meinung aus dem Internet zu diesem Thema zitieren: „Unabhängig von der Schönheit des Landes muss man sich stets der großen Erdbebengefährdung bewusst sein. Ein schweres Erdbeben ist nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung in näherer Zukunft zu erwarten. Kommt es zu einem solchen Beben im Kathmandu-Tal, so werden die Auswirkungen angesichts der Bevölkerungs-entwicklung, der Bauplanung und der Infrastruktur verheerend sein. Trotz dieser Kenntnis ist Nepal wenig vorbereitet. Die Folgen des jüngsten Tsunami im indischen Ozean haben jedoch auch in Nepal Denkanstöße bewirkt“.

Will der Leser meine abschließende Meinung kennen lernen, die wie immer ein wenig aus der Norm fällt? Berge sind zum Anschauen, bestenfalls zum Erwandern oder Besteigen da. Keinesfalls zum Bewohnen. Tut man es trotzdem, und man tut es, wie wir alle wissen, so muss man sich auf ein mühseliges Leben, hohe Entwicklungs- und permanent hohe Instandhaltungskosten einrichten.

Literaturhinweise:
Pradeep K. Mool et al., „Inventory of Glaciers, Glacial Lakes and Glacial Outburst Floods. Monitoring and Early Warning Systems in the Hindu Kush-Himalayan Region”, Kathmandu: ICIMOD 2001; “Mountain Flash Floods”, ICIMOD Newsletter, No. 38, Winter 2000/2001;
“Geowissenschaftler warnen vor einem großen Erdbeben am indischen Subkontinent”, GBA-online, 14.01.2003.
 

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Nepalkunde von Dr. Wolf Donner

Nepalkunde Wolf DonnerLeider war ja das frühere Referenzbuch von Dr. Wolf Donner “Nepal- Im Schatten des Himalaya”. schon länger vergriffen und besonders die politische Lage hatte sich ja auch in den letzten Jahren grundsätzlich geändert. Nun hat die Edition Kathmandu die überarbeitete und aktualisierte “Nepalkunde” vom gleichen Autor herausgebracht. Das Buch ist absolut lesenswert.

Sachlich, informativ und dennoch gut zu lesen beschreibt Wolf Donner viele Aspekte dieses Landes. Die Kapitel sind : Zwischen Monsunwald und Bergwüste, Ein Königreich im Wandel, Kulte und Kulturen und Wirtschaft und Entwicklung. Er geht ausführlich auf die schwierige, und oft so erfolglose, Demokratische Entwicklung und das Aufkommen der Maoisten ein.

Auch für mich ergaben sich beim Lesen viele neue Ansichten und Aspekte, so dass ich diese Buch persönlich jedem empfehlen kann, der sich intensiver mit Nepal und seinen Bewohnern, sei es nach einer Urlaubsreise, sei es auch beruflichen Gründen, befassen möchte

Lesen sie mehr auf der Seite von Lahure Kitab http://www.edition-kathmandu.de/component/page,shop .product_details/flypage,shop.flypage/product_id,2/category_id,1/manufacturer_id,0/option,com_virtuemart/Itemid,88/vmcchk,1/

Dort kann man das Buch auch direkt beim Verlag bestellen.

Menschen, Kulturen und Staat zwischen Monsunwald und Bergwüste. Von WOLF DONNER.

Mit 31 Abbildungen im Text und vier Karten im Umschlag. 160 S., 12 × 21,3 × 1 cm, ca. 200 g
ISBN 978-3-939834-01-4