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                             Artikel aus Freitag, Zeitung für Ost-West  Vom 21.12.2002 
                            Ursula-Charlotte Dunckern 
                            Roter Stern am Himalaja 
                              
                            NEPALMaoistische Rebellen bedrohen das Hindu-Königreich auf dem Dach der Welt 
                            Niemand hat gewagt genau hinzuschauen, als die kleine Kumari, die lebende Mädchen-Gottheit von Nepal, nach alter Tradition mit ihren Fingerspitzen die Macht des Gottes Vishnu auf den frisch inthronisierten König 
                                übertrug. So hat auch niemand gesehen, ob sie für einen Augenblick gezögert oder gelächelt hat, bevor sie das magische Wort "Taleju!" aussprach - nach alter Legende wäre das ein böses Omen für den 
                                Monarchen. Weissager und königliche Astrologen blicken ratlos in eine bedrohliche Zukunft. Ist das Ende des einzigen Hindu-Königreiches der Welt gekommen? 
  Verwirrung und Desinformation prägen in diesen Tagen 
                                das öffentliche Leben in Nepal. Niemand weiß recht, was vor sich geht, und Gerüchte haben Flügel. Fest steht, das kleine Königreich im Himalaja erlebt die schwerste Krise seiner Geschichte. Die Konstitutionelle 
                                Monarchie, erst 1990 auf Druck einer Volksbewegung eingeführt, scheint am Rande ihres Zusammenbruches zu stehen. Die Maoistische Volksbefreiungsarmee ist auf dem Vormarsch. In der mittelwestlichen Stadt Rolpa hat eine 37-köpfige Vereinigte Revolutionäre Volksregierung unter ihrem Chef Baburam Bhattachai, einem promovierten Städteplaner aus Indien, die Macht angetreten. "Hiermit erklären wir, dass die Bevölkerung von Nepal der indischen Marionettenregierung Sher Bahadur Deubas die Unterstützung entzogen hat", verkündet sie auf roten Plakaten. "Die Regierung ist illegal. Zahlt keine Steuern mehr an sie. Tötet Polizisten, wo immer ihr sie findet. Die Armee ist aufgelöst." 
                                
  Leere Tresore und offene Gefängnisse 
  Die unerwartete militärische Offensive der die Maoisten ließ die Regierung zittern. Nahe Rolpa, in der wohlhabenden Bezirksstadt Dang, stürmten Guerilla-Einheiten 
                                das Armee-Hauptquartier. Die Guerillas leerten die Waffenlager und die Tresore der beiden städtischen Banken. In den folgenden Tagen führten sie parallele Operationen in den Bezirken Surkhet, Pyuthan und Syanja 
                                durch, nahmen Regierungsbeamte fest und brachten die Bezirksverwaltungen unter ihre Kontrolle, räumten Polizeistationen, befreiten Gefängnisinsassen und leerten Banktresore. 
  König Gyanendra hat inzwischen 
                                den Notstand verhängt, Bürgerrechte suspendiert, die Maoisten nach zeitgemäßer Lesart zu Terroristen erklärt und den Einsatz der Armee angeordnet. Ein neues Gesetz sieht für terroristische Aktivitäten die 
                                Todesstrafe vor. Wer "Terroristen" direkt oder indirekt unterstützt, kann mit lebenslänglicher Gefängnisstrafe und dem Einzug sämtlicher Besitztümer rechnen. 
  Der erste Schlag allerdings galt der 
                                Pressefreiheit. Journalisten wurden verhaftet und mehrere als maoistenfreundlich verdächtigte Zeitungen verboten. Seitdem herrscht strikte Zensur. Das Informationsmonopol liegt bei der Regierung, und ausländische 
                                Journalisten dürfen entweder gar nicht erst einreisen oder müssen sich ihre Berichte genehmigen lassen. 
  Kathmandu hat sich jedoch schnell vom ersten Schock erholt. In Thamel, dem Herzen der Hauptstadt mit 
                                seinen eleganten Hotels, alternativen Müsli-Paradiesen, Diskotheken, Bars und Einkaufszentren, geht das Leben wie gewohnt weiter. Niemand will sich stören lassen bei seinem Café-au-lait und seinen Treckingplänen von 
                                etwas, das offenbar weit weg in einer anderen Welt geschieht. Dort draußen aber im ländlichen, staubigen, mittelalterlichen Nepal, haben inzwischen massive Land- und Luftangriffe auf Rebellenpositionen in den 
                                Bezirken Dang, Rolpa Syangia, Surkhet und Salyan eingesetzt. 
  Regierung tappt im Dunkeln 
  Was da allerdings genau passiert, bleibt unklar. Amtliche Meldungen sind nicht nur manipuliert. Die Regierung 
                                weiß oft wirklich nicht, was im Lande vorgeht, da sie in den besetzten Gebieten auf keinerlei staatliche Strukturen zurückgreifen kann. Und auch die heimische Presse hat - von den Zensur-Beschränkungen abgesehen - 
                                selten direkten Zugang zu den Orten des Geschehens, die schwer erreichbar zwischen Gebirgsketten und dichten Wäldern liegen. Das 147.000 Quadratkilometer kleine Nepal verfügt über 38 Flugplätze mit zum Teil 
                                saisonbeschränkter Nutzbarkeit. Orte, die sich nicht per Flugzeug erreichen lassen, zwingen den Reisenden zu langwierigen und oft sehr beschwerlichen Touren durch teilweise straßenloses Gebiet. Und die örtliche 
                                Presse befindet sich oft in einem beklagenswerten Zustand. "Die Behörden und die Leute sind sich nicht recht über unsere Möglichkeiten im Klaren", sagt Narain Prasad, der 71-jährige Herausgeber von Yugbodth, 
                                der einzigen Zeitung in Dang. "Uns ist gesagt worden, alle Information, kommen von der Regierung in Kathmandu. Sogar die Weitergabe von Information ist untersagt. Warum soll ich da das Gesetz brechen und 
                                versuchen, welche zu beschaffen." Dass die Maoisten bei ihrem Einfall in Dang auch sein Haus beschossen haben, hat Prasads journalistischen Eifer nicht eben gefördert. 
  Bevor die Regierung von Nepal 
                                Notstand und Militäreinsatz ansagte, vergewisserte sie sich der Unterstützung Indiens. General Prajwalla S.J.B. Rana, Oberbefehlshaber der Königlich-Nepalesischen Armee, eilte von einem Besuch in Wien direkt nach 
                                Delhi zu einem Geheimtreffen mit dem indischen Armeechef General S. Padmanabhan. Er bat um sofortige Lieferung der kürzlich bestellten Jeeps, Nachtsichtgeräte, Maschinengewehre und Munition, und um Helikopter. 
                                Indien schenkte ihm auf der Stelle vier und gewährte Freundschaftspreise auf weitere Bestellungen. Schon am nächsten Tag rollten die ersten Lastzüge mit Rüstungsmaterial über die Grenze. 
  
                                Delhis Angst vor dem Roten Korridor 
  Aber es geht nicht nur um Hardware. Nepal wünscht strategische Beratung, Geheimdienstkooperation und Hilfe bei der Aufstellung einer 30.000 Mann starken Grenztruppe - wenn 
                                möglich sogar direkten Eingriff der indischen Armee. Indien sagte - offiziell jede Festlegung vermeidend - volle Kooperation zu. Diese bereitwillige Unterstützung folgt durchaus eigenen Interessen. Die innere 
                                Stabilität Nepals als wohlgesonnener, hinduistischer Pufferstaat an der Grenze zu China dient Delhis Sicherheitsbedürfnissen. Darüber hinaus ist das kleine "Dach der Welt" von großer strategischer 
                                Bedeutung für die Machtverhältnisse im südostasiatischen Raum. Und schließlich stellt das Erstarken der Maoisten in Nepal eine direkte innenpolitische Gefahr für Indien dar. 
  Die lange Grenze zwischen beiden 
                                Ländern ist äußerst porös. Die maoistische Rebellen in Nepal sind aufs engste mit der maoistischen People´s War Groups (PWG) in den indischen Staaten Andhra Pradesh, Madhya Pradesh und Chattisharh sowie dem Maoistisch-Kommunistischen 
                                Zentrum in Bihar verbunden. In Delhi wächst die Sorge, dass diesseits und jenseits der Grenze die kontrollierten Gebiete zu einer "kompakten revolutionären Zone" zusammenwachsen und so ein "Roter Korridor" zwischen den Nachbarstaaten entsteht. Geheimdienstberichte über eine chinesische und offenbar auch pakistanische Unterstützung der Rebellen geben der Sache zusätzliche Brisanz. 
                                 Fast 40 der 75 Verwaltungsbezirke von Nepal scheinen die Maoisten inzwischen zu kontrollieren. In mindestens 23 davon sollen bereits maoistische Volksregierungen eingesetzt sein. Die maoistische Armee steht 
                                unter dem Oberbefehl des legendären Rambahadur Thapa alias Badal, der nach einem Atomingenieurstudium in Moskau von libyschen Guerillatrainern ausgebildet wurde. Er scheint die totale Loyalität seiner Truppen zu 
                                genießen, denen nach Schätzungen 10.000 Kämpfer, Männer und Frauen, angehören. Ein großer Teil hat eine solide Kampfausbildung in Trainingscamps genossen. Neben der breiten Volksmiliz existieren 
                                Elite-Guerilla-Einheiten, die ihre Operationen von versteckte Basen im Dschungel aus führen.  Wie der Fisch im Wasser  Dabei bewegen sich die Rebellen in weiten Teilen des Landes tatsächlich "wie der 
                                Fisch im Wasser". In den sechs Jahren seit ihrer Gründung haben sie das Vertrauen der ärmsten und rückständigsten Bevölkerungsschichten gewonnen. Die Maoisten sichern Trinkwasserquellen, helfen Hütten und 
                                Straßen zu bauen, schlichten Streit und unterstützen die Forderungen von Waldarbeitern nach mehr Lohn. Es gibt erstaunlich viele Frauen unter ihnen, nach Schätzungen 30 bis 40 Prozent, viele davon in leitenden 
                                Funktionen. Das Durchschnittsalter der Guerilleros liegt zwischen 19 und 28 Jahren. Die Anführer haben studiert, meist in Indien, und eine glänzende Karriere gegen das Leben im Dschungel eingetauscht. Die Masse 
                                allerdings besteht aus wenig ausgebildeten, meist arbeitslosen Jugendlichen.  Sollten die Maoisten ihr Ziel - eine nepalesische Republik - nicht erreichen, dürften dem Land lange und blutige Auseinandersetzungen 
                                bevor stehen, während derer auch die noch junge Demokratie Schaden nehmen könnte. Der König wartet nur darauf, das zehnjährige Experiment beenden und die Zügel wieder fest in seine Hände nehmen zu können. Ob es dazu 
                                kommt, ist offen. Im Moment scheint das Einflussgebietes der Maoisten eher größer als kleiner zu werden und sich in Richtung Hauptstadt auszudehnen. Noch aber hat niemand die rote Fahne vor den Palasttoren 
                                aufgepflanzt. In einem der Außenbezirk von Kathmandu jedoch wurde unlängst eine Coca-Cola-Fabrik in die Luft gebombt. Hauptaktionär war Paras, der "schwarze Kronprinz" - seit den Palastmassakern im Juni 
                                ebenso verdächtigt wie unbeliebt. Und keine 150 Kilometer von den Stadttoren entfernt haben sich mehr als 4.000 Menschen unter roten Fahnen versammelt, um einer jungen Frau im grünen Kampfanzug zuzuhören, deren 
                                helle Stimme ohne Mikrofon den weiten Platz ausfüllt und von den nahen Gebirgen zurückhallt. 
                            Sie können den Artikel Roter Stern am Himalaya auch direkt auf der Seite von Freitag lesen 
                            Ein weiterer  Artikel aus dieser interessanaten Zeitung ist: ...und glauben, Sie säßen im Paradies..., Wenn der Kapitalismus nach Tatopani kommt.... 
                              
                              
                              
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